Filder-Zeitung Franz Stettmer: Nach Spielerstreik: 17 Gegentore in einem Spiel

Rudi Scherrle, 05.10.2021

Filder-Zeitung Franz Stettmer: Nach Spielerstreik: 17 Gegentore in einem Spiel

Während es beim Krisenverein Türkspor Stuttgart in der Fußball-Bezirksliga weiter drunter und drüber geht, avanciert eine Fildermannschaft gerade zur positiven Überraschung.

Franz Stettmer

Es ist ja gerade schon eine gewisse Tragik für die Konkurrenz in der Stuttgarter Fußball-Bezirksliga. Sie kann dieser Tage machen, was sie will, quasi Salti und Flickflacks schlagen, sich auf den Kopf stellen und mit den Zehen wackeln – die Schlagzeilen klaut ihr aber Woche für Woche ein anderer. Dass die Spvgg Cannstatt das Spitzenspiel gegen Croatia Stuttgart mit 2:0 gewinnt? Absolut erwähnenswert. Dass ein SV Vaihingen mit seinem personellen Eigengewächsprojekt die Staffel rockt? Allemal erstaunlich. Wer aber schießt dann auch an diesem Spieltag wieder den Vogel ab? Richtig, Türkspor Stuttgart . Das aktuelle Ergebnis des vom Titelfavoriten zum Chaosverein abgestürzten Mitstreiters: ein 1:17. In Worten: siebzehn Gegentore in einem Spiel. Mit Blick aufs Tableau mag am Sonntagabend manch einer erst an einen Druckfehler geglaubt haben. War der Schiedsrichter, der für die Einstellung des Resultats verantwortlich ist, auf der Tastatur verrutscht? Oder hatte der gute Mann womöglich einen im Tee gehabt? Irrtum. Es hatte schon alles seine Richtigkeit – sofern man von Richtigkeit sprechen kann, wenn eine Mannschaft zum Rundenbeginn noch als Aufstiegsanwärter galt, nun aber als überforderter Punktelieferant übers Spielfeld schwankt.

Das Problem von Türkspor: von eben jener Mannschaft, die sich die Wahl-Cannstatter nicht zuletzt kraft des Geldbeutels einmal spektakulär zusammenbastelten, ist momentan nichts mehr übrig. Vor diesem Spieltag kam es zum nächsten internen Knall: Aufgrund offenbar unverändert ausstehender Gehaltszahlungen beschlossen alle noch Verbliebenen des ursprünglichen Kaders, ein Zeichen zu setzen – sie verweigerten ihren Einsatz, darunter auch der erst vor Wochenfrist zum neuen Spielertrainer beförderte Ex-Echterdinger Nektarios Malamidis. Jener sagt: „Ja, es ging ums Finanzielle. Es gab einfach zu viele leere Versprechungen.“

Zum Spiel gegen Beograd traten die Türken dennoch an, und zwar mit elf Spielern ihrer zweiten Mannschaft – von denen zehn direkt zuvor schon in der Kreisliga B aufgelaufen waren. Sie absolvierten also eine sonntägliche Doppelschicht. Ergebnis siehe oben: 17 Gegentore. Ein Debakel, nach dem man nun gespannt sein darf, wie es weitergeht. Während Malamidis die Rückkehr von ihm selbst sowie „einiger guter Jungs“ schon am nächsten Wochenende für möglich hält, kündigte der heftig in der Kritik stehende Präsident Ayhan Yildiz am gestrigen Montag ganz anderes an: Man werde das jetzt bis Weihnachten mit Akteuren der „Zweiten“ durchziehen. Immerhin: einen Negativrekord haben er und die Seinen nicht aufgestellt. Jenen hält, was die Niederlagenhöhe anbelangt, in der Stuttgarter Bezirksliga ihr aktueller Gegner. Im Mai 2012 war es, als Beograd seinerseits mit einem von Auflösungserscheinungen geplagten Team in Plattenhardt gar mit 1:20 unterging.Verrückt, das alles? Amüsant? Wie man es nimmt. Peter Breuer zum Beispiel, der Fußballchef des SV Vaihingen , findet die Entwicklung beim Ligarivalen weniger kurios als ärgerlich. Der Grund: seine eigene Mannschaft trat am zweiten Spieltag noch gegen ein Türkspor in Normalbesetzung an und kam nur zu einem 1:1. Überhaupt macht in der Staffel das Wort von der „Wettbewerbsverzerrung“ die Runde.

Freilich, die Vaihinger haben ihren Trost, sind sie doch gerade der Teilnehmer, der in rein sportlicher Hinsicht für das mit größte Aufsehen sorgt. Vor einer Woche ein 6:1 in Untertürkheim, nun ein 7:1 gegen Ermis Metanastis – und unter dem Strich Tabellenplatz zwei. Wer hätte es gedacht? Nach dem Verlust seiner beiden Torjäger David Hug und Ali Hasöz vor dieser Saison vermeintlich geschwächt am Start, rockt das Aufgebot des Trainers Stephan Tregel die Liga. „Man sieht, dass unsere Nachwuchsarbeit Früchte trägt“, sagt Breuer mit spürbarer Zufriedenheit. In der Elf am Sonntag standen zehn Spieler, die schon zu Jugendzeiten das Trikot des Schwarzbachclubs getragen haben. Tregel hat sie mit passendem Spielsystem zu einer hungrigen Truppe vereint, für die plötzlich viel möglich scheint. Die Frage ist: wie viel? Vielleicht sogar dauerhaft ein Mitmischen an der Spitze?

Breuer sagt es so: „Unser Ziel bleibt das erste Drittel, ein Platz unter den ersten Sechs.“ Kurze Atempause, dann der Zusatz: „Wobei erste Sechs ja nicht ausschließt, dann man dann am Ende Erster oder Zweiter wird.“ Auf den Geschmack sind die Vaihinger jedenfalls gekommen nach einem einstweilen „wunderschönen Fußballnachmittag“, wie Breuer es nennt. Nach einem frühen Doppelpack von Marvin Dürr und Maxim Haug galt: fast jeder Schuss ein Treffer. Am sehenswertesten war Steffen Günthers Freistoß zum 3:0. Und, was die Sache noch bemerkenswerter macht: zwei der wichtigsten Akteure, der Ex-Profi Patrick Milchraum und der Kapitän Max Schilling (beide muskuläre Probleme), waren nicht einmal dabei. Im Klassement haben die Vaihinger als bislang bestes Filderteam den TSV Bernhausen abgelöst. Dessen Trainer Christopher Eisenhardt verfolgte aus der Ferne, wie seine Mannschaft die Chance verspielte, sich am kommenden Spieltag zum Tabellenführer zu küren. Ein Sieg in Zuffenhausen, und die Fleinbachkicker hätten nun einem Gipfelduell mit der Spvgg Cannstatt entgegengeschaut. Doch es kam anders. Zum einen für Eisenhardt, den eine Terminkollision zur Abwesenheit zwang: Er weilte als Gast auf der Hochzeit seines Schwagers in Spanien. Zum anderen auch für seine Kicker. Jene erreichten nur ein 2:2 – trotz zweimaliger Führung durch Agonis Berisha. Nach dessen direkt verwandeltem Freistoß und Abstauber währte die Freude jeweils nur kurz.

„Wir haben es versäumt, aus vielen Chancen frühzeitig mehr zu machen“, moniert der Co-Trainer Florian Kordeuter, der Eisenhardt an der Seitenlinie vertrat. So kam im zweiten Durchgang noch die große Hektik auf, fingen die Gäste sich die Ausgleichstore – und kündigt Eisenhardt ein Nachspiel an. Was ihm sauer aufstößt: Sein Youngster Julijan Milos sah für eine Schiedsrichterbeleidung Rot, André Joaquim Faria Duarte und Sam Böhmer wegen Meckerns Gelb. „Das sind Dinge, die mir nicht gefallen. Für solche Vorfälle haben wir einen Strafenkatalog“, sagt Eisenhardt. Wohl bekomm’s der Mannschaftskasse.Doch waren die Bernhausener nicht der einzige „Große“, der Federn ließ. Ernüchtert trat auch der TSV Musberg die Heimfahrt an, in seinem Fall nach einem 0:0 bei der Sportvg Feuerbach. Aus dem Vorhaben, nach zuletzt zwei Siegen nun vollends in Fahrt zu kommen, wurde also nichts. Stattdessen konnten der Trainer Jaroslav Kostenko und seine Kicker sich bei einem einzelnen Teamkollegen bedanken, dass es nicht komplett schief gegangen ist. Die Rede ist vom Torhüter Simon Hochschein. „Er war überragend – der beste Spieler auf dem Platz“, sagt Kostenko. Hochschein rettete den Musbergern mit seinen Paraden den wenigstens einen Punkt.

Ansonsten? Auf der einen Seite nicht über Ansätze hinauskommende Musberger Angriffsbemühungen – und das, obwohl von der Bestformation nur der Torjäger Manuel Rath (Aufbautraining) fehlte. Auf der anderen Seite eine Feuerbacher Verteidigung, die Kostenko beeindruckte. Seine Einschätzung: „Defensiv waren die ganz stark. Und wir haben keine Antworten gefunden.“Punktgleich mit den Musbergern ist nun der SV Sillenbuch , gleichwohl die Ambitionen am Spitalwald um einiges bescheidener sind. Nach der Personalnot der vorigen Woche diesmal wieder mit einem aufgefüllten Kader unterwegs, bezwang der Überraschungsvizemeister der vorvergangenen Saison den TSV Rohr mit 3:1. Ein Job, den die beiden Angreifer Lukas Schmidt und Sascha Blessing im Duett erledigten. Bei den beiden ersten Treffern legten sie sich den Ball jeweils gegenseitig auf. Den dritten erzielte Schmidt dann nach einem Missverständnis in der gegnerischen Abwehr. „Damit war die Nummer durch“, sagt der Rohrer Trainer Michael Rück. Erst recht, als sein Spieler Sissoko Mamadou wegen Meckerns das gelb-rote Aus ereilte. In Unterzahl fehlte es an der Power für eine womöglich nochmalige Wende.

Zu notieren waren für Rücks Ensemble schließlich nur ein Lattenkopfball von Thomas Leimbach sowie der zwischenzeitliche Ausgleich durch Valentin Kamm, dem der Ball nach einem missglückten Abwehrversuch des Sillenbuchers Thomas Duda direkt vor die Füße fiel.Im grünen Bereich sieht Rück die Seinen dennoch nach wie vor – im Gegensatz zum Amtskollegen Thomas Otto bei der Spvgg Möhringen. Für jene bestätigen sich mehr und mehr die Befürchtungen: Es wird auch in dieser Saison ganz, ganz schwer. Um nicht schon jetzt zu sagen: zu schwer. Aktuell zerstoben auch im Kellerduell mit der SG Untertürkheim die Hoffnungen, nach 19 Monaten das Spielfeld endlich wieder einmal als Sieger zu verlassen. Endstand: 2:5. Da halfen auch das Debüt des verbandsligaerprobten Neuzugangs Christian Graf (vom SV Rohrbach/Saarland) und das Comeback des reaktivierten Malden Peri nichts.

Am Ende war es wie so oft: erst noch gut mitgehalten – durch Tim Neidhart und Samir Ramic machten die Möhringer zwei Rückstände wett. Dann aber ereilte sie doch der erneute K.o. Zuletzt entschied der Gästekicker Kevin Schmieg mit einem Hattrick die Partie. „Da haben wir die Ordnung völlig verloren“, sagt Otto, dem in seiner Abwehr mehrere Stammkräfte fehlten. Seine Erkenntnis: „Es muss eine Steigerung her, sonst wird es schwierig, dass wir überhaupt mal punkten.“

Selbst das Drunter-und-drüber-Team Türkspor hat sechs Zähler mehr auf dem Konto. Dass seit Sonntag auch einige Gegentore mehr, ist eine andere Geschichte.

 

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